Im Folgenden findet ihr unsere Rede vom Frauenkampftag 2021 zum Thema „Sexuelle Selbstbestimmung“ sowie einige Impressionen von der Kundgebung in Heidelberg.

Kundgebung am Universitätsplatz Heidelberg

Verhütung als Frauensache

Verhütung als große Errungenschaft verbleibt weiterhin Frauensache. Die Antibabypille für Männer wird nicht weiter erforscht, denn Männer sind laut Studien nicht bereit, die Nebenwirkungen dieser Verhütungsform auf sich zu nehmen – obgleich es sich um die exakt selben Nebenwirkungen handelt, denen Frauen bei der hormonellen Verhütung ausgesetzt sind.

Es wird gesellschaftlich also in die Verantwortung der Frau gelegt zu verhüten. Verhütet eine Frau nicht mit einem für den Mann bequemen und unsichtbaren Verhütungsmittel, liegt es in ihrer Pflicht das anzusprechen und den Mann zum Beispiel zum Tragen eines Kondoms zu bringen.

Anna dann:    „Ich verhüte nicht, ich möchte, dass du ein Kondom anziehst.“

Tim:  „Echt? Hm…okay wenn es sein muss.“ Oder „Ja klar kein Problem, sag doch was.“ Oder „Hää was? Da bekomme ich niemals eine Erektion. Auf keinen Fall!“

Die Verantwortung für ihren Körper liegt hier also bei der Frau selbst. Wenn sie Sex mit einem Mann haben möchte, ist es ihre Aufgabe, die ständig drohende Schwangerschaft durch Verhütung zu regulieren, abzuwenden.

Wird eine Frau ungewollt schwanger, ist das infolge dieses patriarchalen Narrativs ihre Schuld. Da hört man nicht selten: „Die hätte ja auch mal besser verhüten können.“ oder „Heutzutage noch ungewollt schwanger zu werden ist echt ein Armutszeugnis.“ oder „Die vögelt halt auch immer wild in der Gegend rum.“ oder „Die scheint ihr Leben ja nicht gerade im Griff zu haben, wenn sie nicht einmal richtig verhüten kann.“ oder von

Tim:    „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du nicht verhütest. Bisher haben alle anderen Frauen, mit denen ich geschlafen habe, die Pille genommen. Das war noch nie ein Thema für mich. Das hättest du halt echt besser kommunizieren müssen.“

Hier ist von Empathie und Mitverantwortung in der Regel keine Spur. Es ist die Aufgabe der Frau zu verhüten und somit auch der Fehler der Frau, wenn die Verhütung fehlschlägt. Der notwendige und kostenlose Zugang zu Verhütungsmittel wird ihr jedoch von staatlicher Seite nicht gewährt. So sind im Hartz4-Satz beispielsweise nur 15€ monatlich für die Verhütung eingeplant, gemeinsam mit allen anderen Kosten für Gesundheitspflege.

Auch hört man selten: „Verhütung ist auch echt nicht immer einfach, vor allen Dingen, weil man sich beim Sex ja auch gerne gehen lässt.“ oder „Vielleicht hat ihr Boy auch einfach das Kondom abgezogen. Das machen Männer ja gerne.“ oder „Fuck das tut mir echt leid, ich habe auch schon 15-mal gebibbert, dass ich hoffentlich meine Periode bekomme.“

Die Verantwortung für ihren Körper liegt hier also bei der Frau selbst. Wenn sie ungewollt schwanger geworden ist, ist es allein ihr Fehlverhalten, das zu der Schwangerschaft geführt hat. Von der Gesellschaft ist hier weder auf Empathie noch auf Verständnis zu hoffen.

Infostand am Universitätsplatz Heidelberg

Will Anna nun aber in der Konsequenz ihrer Erfahrungen weiterhin die Verantwortung für sich selbst übernehmen und entscheidet sich für einen Schwangerschaftsabbruch, schaltet sich plötzlich Tim ein.

Tim:    „Ja halt Stopp, das ist ja wohl mein Spermium da in deinem Bauch, darüber will ich natürlich mitbestimmen.“

Und die Gesellschaft: „Oh je, ein Abbruch. Du Arme. Bist du sicher, dass du das
psychisch verkraften kannst. Das ist ja schrecklich.“

Und die katholische Kirche: „Das ist Mord. Wie kannst du das nur mit deiner Nächstenliebe vereinbaren?“

Und die Beratungsstellen:   „Für die Finanzierung von Kindern gibt es viel gesellschaftliche Unterstützung, außerdem weißt du ja wer der Vater ist. Rundum bist du gut aufgestellt, willst du dir nicht nochmal überlegen, ob du nicht doch Mutter werden möchtest?“

Und die Ärzteschaft: „Wir lehren Abtreibung nicht in der Ausbildung und nur wenige führen Abtreibungen durch, da es ein moralisch sehr kontrovers diskutiertes Thema ist. Statt ständig mit einem Bein im Gefängnis zu stehen nehmen wir lieber keine Abbrüche vor.“

Ganz plötzlich sind scheinbar alle am Wohl der Frau interessiert und wollen mitbestimmen.

Die Gesellschaft im Patriarchat will das Patent an der Reproduktion unter keinen Umständen aus der Hand geben und weiterhin in letzter Kontrollinstanz sein. Auf keinen Fall soll dieses Vorrecht an die Frau als selbstbestimmtes Subjekt abgegeben werden. Der Körper der Frau verbleibt ähnlich einer bevölkerungspolitischen Gebär-maschine im Besitz der herrschenden Klasse, der Männer. Das zeigt sich auch an den historisch gewachsenen politischen Begründungen für die Kriminalisierung von Abbrüchen.

Ist es da verwunderlich, dass sich viele Frauen schlecht fühlen abzutreiben? Wir sagen jegliche Gesundheitseingriffe unter solchen Bedingungen wären traumatisch – nicht angehört, ernstgenommen und in der eigenen Entscheidung wohlwollend akzeptiert zu werden, ist traumatisch.

Und ebenfalls plötzlich im Fokus der Interessen: „Ja aber Anna wie genau bist du denn schwanger geworden? Und ist das Kind in deinem Bauch gesund?“

Genau dies zeigt die Fehlleitung der Debatte! Im Zentrum steht nicht die Frau, die selbstbestimmt über ihr Leben, also auch über den Zeitpunkt einer Schwangerschaft oder keiner Schwangerschaft entscheiden kann. Im Zentrum steht die moralische Regulierung der Reproduktion der Leistungsgesellschaft.

Aus feministischer Perspektive ist es egal UNTER WELCHEN UMSTÄNDEN eine Frau ungewollt schwanger geworden ist und OB der Fötus den gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen wird.

Diskutiert man mit Alexandra Maria Linder, der Vorsitzenden des Bundesverbandes für Lebensrecht, ist es im übrigens auch egal wie eine Frau schwanger geworden ist. Und war es dann doch durch eine Vergewaltigung, soll die Frau dem Akt der Gewalt mit Liebe begegnen und das Kind liebevoll austragen.

Unter diesem Druck entscheidet sich Anna, das Kind zu bekommen. Kurz nach der Geburt trennen sich Tim und Anna. Das Neugeborene bleibt bei Anna; Tim zahlt keinen Unterhalt. Anna ist alleinerziehende Mutter, die ihr Studium abbrechen musste, als sie schwanger wurde. Der Staat zahlt großzügig Hartz IV, die Gesellschaft schaut auf Anna herab und findet, dass sie sich gehen lässt und ihr Leben nicht im Griff hat. Das Neugeborene schreit den ganzen Tag.

Die katholische Kirche sagt: „Wenn du nur an Gott glaubst, wird alles gut werden irgendwann.“

Niemand hilft Anna wirklich – und wenn doch, ist ihr gesellschaftliche Missachtung gewiss. Es ist schließlich ihr Kind.

Selbstbestimmt darüber zu entscheiden, wann und ob man ein Kind bekommen möchte, ist Teil der reproduktiven Rechte sowie von sexueller Selbstbestimmung. Die sexuelle Selbstbestimmung der Frau wird in Deutschland neben Schwangerschaftsabbrüchen auch in vielen anderen Bereichen enorm missachtet, wie zum Beispiel beim Phänomen Prostitution oder auch in den von marktliberaler Seite angestoßenen Debatten über Leihmutterschaft – Frauen werden objektifiziert, biopolitisch verdinglicht und patriarchal verwertet.

Die Erfahrungen von Anna sind keine Ausnahme.

Die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft müssen Frauen in Deutschland unter prekären Bedingungen treffen. Einen Abbruch vorzunehmen wird seit 1871 als Tötungsdelikt klassifiziert. Seit 150 Jahren wird Frauen ihr reproduktives Selbstbestimmungsrecht aberkannt.

Die Möglichkeiten des Abbruchs ging laut Statistischem Bundesamt in Deutschland zwischen 2003 und 2018 um 40% zurück. Es verbleiben deutschlandweit nur noch 1200 Standorte, um abzutreiben.

Der Zwang zur Beratung vor einem Abbruch hat laut der UN-Menschenrechtskonvention KEINE medizinisch haltbare Grundlage.

Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland kein Teil der medizinischen Ausbildung und wird teilweise in Eigenregie an Papayas trainiert.

Dies obwohl jede dritte Frau weltweit im Laufe ihres Lebens einen Schwangerschaftsabbruch durchführen wird – unter guten, wie auch unter prekären Bedingungen. Die Möglichkeit zur Wahl der Bedingungen ist somit eine Klassenfrage. 

60% dieser Frauen haben schon Kinder. Dies widerspricht der weit verbreiteten Annahme, dass Frauen, die abtreiben wollen, keine gute Entscheidungsgrundlage hätten.

Wir fordern:

  • die staatliche Übernahme von Verhütung (damit auch einkommensschwache Frauen Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln haben)
  • die vollständige Streichung des Paragraphen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch
  • die uneingeschränkte Selbstbestimmung aller Frauen durch die Zerschlagung des Patriarchats und des herrschenden Systems

Fremdbestimmung – raus aus den Köpfen!

Banner: „Dem patriarchalen Kapitalismus entschlossen entgegentreten“