Dies ist ein Redebeitrag des Bündnisses, gehalten bei der Veranstaltung „Mannheim gegen Sexkauf“ vom 19.09.2020:
„Schätzungsweise 400.000 Frauen befinden sich in Deutschland in der Prostitution. Pro Tag kaufen Männer in Deutschland über eine Million Mal Sex. Einen Döner essen hingegen nicht einmal 700.000 Menschen. So präsent, so allgegenwärtig ist Prostitution. Diese Zahlen klingen absurd hoch, weil wir die Realität der Prostitution aus unserem Alltag sehr bequem ausklammern. In jeder deutschen Großstadt, hier in Mannheim, in Heidelberg, leben Frauen, für die jeder Tag aufs Neue verheißt, ihren Körper für sogenannte sexuelle Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen und ungewollten Geschlechtsverkehr mit fremden Männern über sich ergehen zu lassen, um ihre Existenz sichern zu können. Frauen, deren Alltag daraus besteht, Abspaltung von ihrem eigenen Körper zu betreiben, der in der Prostitution zur Ware geworden ist. Frauen, die ähnlich oft wie Kriegsveteranen eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, weil sie tagtäglich das Unaushaltbare aushalten müssen.
Jeder Mann lebt in Deutschland in dem Wissen, dass er sich jederzeit Sex erkaufen kann. Sex mit einer Frau, deren Körper seinen Vorstellungen und Fantasien entspricht. Sex mit einer Frau, die sich so verstellt, wie er sie gerne hätte. Sex, der genauso abläuft, wie er das möchte. Wer genug Geld ausgibt, kann sich jede noch so perverse Fantasie erfüllen lassen. Die Bedürfnisse der prostituierten Frau spielen hierbei überhaupt keine Rolle – wie auch? Sie braucht Geld, und ein unzufriedener Freier zahlt nicht, kommt nicht mehr wieder oder sorgt für Probleme mit dem Zuhälter. Je größer ihre ökonomische Not, desto mehr muss sie mit sich machen lassen, um genug Geld beschaffen zu können; denn Bedingungen kann nur stellen, wer sich leisten kann, Freier zu verlieren. Wie freiwillig kann dieser Sex denn sein, wenn die Alternative ist, die Miete nicht bezahlen zu können?
Von vielen Seiten wird die Prostitution als Beruf bezeichnet. Prostitution sei eine Dienstleistung wie jede andere, behauptet man, und vergleicht Bezahlsex mit einer Massage oder einem Haarschnitt. Hierbei wird völlig ignoriert, dass für jede andere Dienstleistung egal ist, wie die Person aussieht, die sie leistet. Die Dienstleistung steht nämlich im Vordergrund, nicht die Arbeiterin, die sie durchführt. Die Prostitution macht aus, dass hier nicht nur für eine Handlung bezahlt wird, sondern für die ganze Frau. Und nicht nur der Körper der Frau muss den Vorstellungen des Freiers entsprechen, sie muss ihm auch einen Charakter vorspielen: Mal naiv, mal dominant, der Mann weiß genau, wie er die Frau gerne hätte, die er für einen Sexualakt benutzt, den man schon fast als Masturbation mithilfe eines Frauenkörpers bezeichnen kann. Von der Frau als Person bleibt beim Bezahlsex nicht viel übrig. Der Freier freut sich, dass er die Fantasien, die er den ganzen Tag mit sich herumträgt, endlich auf eine Frau projizieren kann, die ihre eigenen Bedürfnisse und ihren authentischen Charakter auf den Nullpunkt heruntergeschraubt hat, um ihm komplett als Projektionsfläche zu dienen. Die prostituierte Frau wird zu einer leeren Hülle einer Frau, die der Freier durch seine Fantasie mit Inhalt füllt. Sie wird zum totalen Objekt seiner Lust. Dass eine derart empathielose, totale Objektifizierung für so viele Männer überhaupt möglich ist, zeugt davon, wie sich Freier durch die Welt bewegen und mit welchen Augen sie jede Frau betrachten. Wenn es ein Mann über sich bringt, eine von uns Frauen derart zu misshandeln, dann hat er keine Skrupel davor, es mit jeder anderen zu tun, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Die Täter gehören hierbei klar benannt. Circa jeder zehnte bis fünfte deutsche Mann kauft mindestens einmal in seinem Leben Sex. Ich kann jede nur dazu anhalten, sich in der Fußgängerzone umzuschauen und sich diese Zahlen vor Augen zu führen. Freier, wir sehe euch, und wir setzen alles daran, dass eure gerechte Strafe euch ereilen wird.
Prostitution geht uns alle an. Nicht nur, weil die größtmögliche Solidarität mit prostituierten Frauen die einzig richtige Antwort auf das Leid ist, das sie täglich erfahren. Auch, weil Prostitution nur in einer Gesellschaft stattfinden kann, deren Frauenbild es überhaupt erst möglich macht, dass weibliche Sexualität zur beliebten Ware wird.
1,2 Millionen Mal am Tag wird in Deutschland Sex gekauft. Das ist eine Schätzung des Statistischen Bundesamtes. So häufig benutzen Männer prostituierte Frauen tagtäglich für ihren eigenen Lustgewinn. So häufig müssen diese Frauen dissoziieren, lernen, ihren Körper nicht mehr zu spüren, durchhalten, bis es vorbei ist. An die Decke schauen, abwarten, den Ekel verstecken vor dem fremden, verschwitzten Mann, der da auf einem liegt.
Was das mit diesen Frauen macht, zeigt eine großflächige Studie der US-amerikanischen Psychologin Melissa Farley: Etwa 68 Prozent der Prostituierten entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung, ihre Symptome sind mit denen von Kriegsveteranen und Folteropfern vergleichbar. Eine PTBS entsteht nach einem Erlebnis oder einem Zeitraum, der für die Psyche unerträglich war und nur durch Abspaltung ausgehalten werden konnte. Auch Jahre nach ihrem Ausstieg leiden die Frauen noch unter den Nachwirkungen ihrer Tätigkeit. Viele Frauen befinden sich in ständiger Alarmbereitschaft, dissoziieren, haben blitzartig einschießende Erinnerungen an das erlebte Grauen. Eine Tätigkeit, die Frauen mit derartigen Schäden zurücklässt, kann keine Arbeit sein wie jede andere.“
Was heißt es für eine Gesellschaft, dass sie diese Zustände billigt? Dass sie wegschaut, relativiert oder rechtfertigt, dass so etwas stattfindet? Legalisierung von Sexkauf ist nur in einer Gesellschaft möglich, die sich für das Leid von Frauen wenig interessiert. Wenn anstelle von Ausstiegsangeboten Verrichtungsboxen auf dem Berliner Straßenstrich finanziert werden, spätestens dann ist klar, dass das Elend in der Prostitution bereitwillig akzeptiert wird.
Wir stehen heute hier, weil wir uns für eine Gesellschaft einsetzen, die etwas gegen diese Zustände unternimmt. Wir stehen hier, weil wir uns dagegen wehren, dass das Leid von hunderttausenden Frauen entweder totgeschwiegen oder in Kauf genommen wird.
Deshalb fordern wir die Einführung des Nordischen Modells auch in Deutschland. Wir fordern das Verbot von Sexkauf und die Bestrafung von Freiern. Wir fordern den Aufbau eines staatlich finanzierten, großflächigen Netzwerks von Ausstiegshilfen für Prostituierte. Das beinhaltet die Finanzierung von Frauenhäusern, den Abbau institutioneller Hürden beim Ausstieg, die Finanzierung von Psychotherapie zur Behandlung der Folgeschäden und die Unterstützung bei der Wohnungssuche und Wiedereingliederung in den regulären Arbeitsmarkt. Sexkauf zu verbieten und sich damit klar gegen die sexuelle Ausbeutung von Frauen zu positionieren ist ein großer Schritt, der auf dem Weg in Richtung Geschlechtergleichheit getan werden muss und der in Deutschland aussteht. Wir verlangen, dass dieser Schritt jetzt getan wird.
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