Wir bedanken uns bei all den tollen Beiträgen und allen mitwirkenden Gruppen und Einzelpersonen bei der Kungebung am 15.05.2021.
Im Folgenden findet ihr unseren Redebeitrag.
Abtreibung – eine feministische Analyse
Liebe FreundInnen, Feministinnen und PassantInnen!
Ob es legitime Gründe für ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen gibt, sollte eigentlich keine Frage mehr sein – seit Jahrhunderten kämpfen Frauen für reproduktive Gerechtigkeit. Doch für viele Menschen steht die körperliche Selbstbestimmung der Frau noch zur Debatte. Dabei sprechen wir hier nicht nur von FundamentalistInnen und Rechtsradikalen, sondern auch von weiten Teilen des konservativen Bürgertums.
Heute wollen wir über die patriarchalen Argumente gegen Schwangerschaftsabbrüche und die daraus resultierenden Konsequenzen für Frauen, die einen Abbruch durchführen wollen, sprechen.
Der Kernpunkt der Argumentation für ein Verbot von Abbrüchen liegt in der Ausdehnung des moralischen Status von Erwachsenen auf Embryonen. Das bedeutet, dass dem menschlichen Embryo derselbe moralische Status und dasselbe unantastbare Recht auf Leben wie erwachsenen Menschen zugesprochen wird. Die logische Konsequenz daraus: Schwangerschaftsabbrüche seien Mord.
Ein weiterer Grund, Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht zu verwehren, stellt für AbtreibungsgegnerInnen die religiös begründete „Heiligkeit des Lebens“ dar. Die Heiligkeit des Lebens wird von Strenggläubigen damit begründet, dass ein Mensch von der Empfängnis an ein von Gott geschaffenes Wesen sei.
Doch nicht nur Gläubige gehen von dieser Argumentation aus, sondern auch die Justiz. Statt der Heiligkeit des Lebens wird hier die vermeintliche Menschenwürde des Embryos als Grund herangezogen, um Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht abzusprechen.
All diese Argumentationsformen suchen einen Weg, um zu begründen, warum das menschliche Leben ab einem bestimmten Zeitpunkt schützenswert ist. Das ausschlaggebende Werturteil, das hier getroffen wird, wird gar nicht erst angesprochen: Das körperliche Selbstbestimmungsrecht der Frau wird gegen die auf verschiedene Arten konstruierten Rechte des ungewollten Embryos, der sich in ihrem Körper befindet, abgewogen. Hier wird also nicht in erster Linie begründet, ab wann menschliches Leben schützenswert ist, sondern es soll ein Zeitpunkt festgelegt werden, ab dem der Verbleib eines ungeborenen Zellhaufens wichtiger ist als die körperliche Selbstbestimmung, die Lebensplanung und ultimativ die Würde der Frau.
Hier wird schnell deutlich, dass hinter den Argumenten von Abtreibungsgegner und -gegnerinnen keine rational begründbaren Thesen stehen, sondern vor allem eines: der Wille, über den weiblichen Körper zu bestimmen.
Dass die konstruierten Rechte des Ungeborenen von ihnen wie selbstverständlich über das Leben und den Körper der Frau gestellt werden, zeugt davon, dass Frauen für diese Menschen nicht viel mehr als Gebärmaschinen sind, die ihrer Funktion nicht nachkommen, wenn sie einen Abbruch durchführen wollen.
In diesen Kreisen macht man sich Sorgen, dass Frauen ohne ein Verbot wegen ihrer Urlaubsplanung und aus allen möglichen, arbiträren Gründen abtreiben würden. Es scheint so, als würden Abtreibungsgegner*innen denken, dass Frauen zum Spaß Schwangerschaften abbrechen. Dass Frauen dazu fähig sind, rational zu denken und autonome Entscheidungen zu treffen, und dass sich keine Frau eine Abtreibung wünscht, weil es ihr so große Freude macht, ist für sie nicht vorstellbar.
Doch das misogyne Frauenbild und die irrationalen Ängste der GegnerInnen und KritikerInnen von Abtreibung zeigen gesellschaftliche Wirkung:
Ein Schwangerschaftsabbruch ist bis heute ein gesellschaftliches Tabu, das vom Gesetzgeber nur gebilligt wird, wenn die betroffene Frau eine Handvoll willkürlicher Auflagen erfüllt. Die Frist von 12 Wochen, die einer medizinischen Begründung entbehrt und die an die katholische Idee der Beseelung angelehnt ist; das bevormundende, verpflichtende Beratungsgespräch, dessen gesetzlich vorgeschriebenes Ziel es sein soll, die Frau von der Abtreibung abzubringen; dass die Frau zwei verschiedene ÄrztInnen aufsuchen muss, weil Beratung und Abbruch nicht von derselben Ärztin vorgenommen werden dürfen – in den Paragraphen 218 bis 219b wird deutlich, dass die Frau auch vom Gesetzgeber für nicht imstande befunden wird, Entscheidungen über ihren eigenen Körper zu treffen.
Abgesehen von diesen gesetzlichen Hürden erschweren eine absurd geringe Dichte an Abtreibungskliniken und ÄrztInnen, die bereit sind, diesen Eingriff durchzuführen, den Prozess. Auch in Heidelberg findet sich keine Klinik, die bereit ist, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Im Uniklinikum beruft man sich auf christliche Werte. Triftigere Gründe dafür sind der Umstand, dass der Eingriff im Medizinstudium nicht gelehrt wird, sämtliche Weiterbildung also eigenständig erfolgen muss, und praktizierende ÄrztInnen mit Angriffen, Diffamierungen und Anzeigen von Abtreibungsgegnern zu rechnen haben.
Nicht nur die Suche nach einer Klinik und die Reise dorthin, die in den meisten Fällen mehrere hundert Kilometer umfasst, sondern auch das verpflichtende Beratungsgespräch stellt ein Hindernis dar. Eine Zwangsberatung spricht Schwangeren die Fähigkeit ab, selbstständig denken und entscheiden zu können.
Religiöse Organisationen lauern auf Frauen, die in der nervenaufreibenden Zeit einer ungewollten Schwangerschaft Hilfe und Rat suchen – und vor allem eine Beratungsbescheinigung. Dabei geben sich für Beratungsstellen aus, obwohl sie nicht imstande sind – und auch nicht planen –, eine Beratungsbescheinigung auszustellen, die für die Abtreibung benötigt wird. Stattdessen ist ihr einziges Ziel, Schwangere zu manipulieren und sie um jeden Preis von einer Fortführung der ungewollten Schwangerschaft zu überzeugen. Die Frauen werden von diesen Stellen hingehalten, bis die zwölfwöchige Frist verstrichen ist, in der ein Schwangerschaftsabbruch noch nicht strafbar ist. So zum Beispiel die scheinheilige Stelle „Pro Femina“, die es auch in Heidelberg Handschuhsheim gibt.
Der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft wird durch das archaische geltende Recht, die mangelhafte medizinische Infrastruktur und die Hinterlist von religiösen Fanatikern, die sich nicht um ihren eigenen Kram kümmern können, massiv erschwert. Hinzu kommt außerdem das gesellschaftliche Stigma, dem Frauen ausgesetzt sind, die abgetrieben haben. Auch 50 Jahre nach der EMMA-Kampagne „Wir haben abgetrieben!“ wird nicht offen über Schwangerschaftsabbrüche gesprochen.
Wir fordern, dass Schwangerschaftsabbrüche als selbstverständliche Ausübung der weiblichen Selbstbestimmung anerkannt werden! Das heißt: eine grundlegende Überarbeitung der Paragraphen 218 bis 219b des Strafgesetzbuchs, die auf die nur dünn als Moral kaschierte, patriarchale Bevormundung der Frau verzichtet und unser Recht auf körperliche Selbstbestimmung vollständig anerkennt!
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