Ein Vortrag von Tove Soiland.

Am 9.2.2024 um 18 Uhr in der Neuen Universität, Hörsaal 01 EG (Universitätsplatz 1 in Heideberg).

In Zusammenarbeit mit un curso propio.

Das Paradigma der sexuellen Differenz entspringt der Denktradition der Lacanschen Psychoanalyse. Es wurde zunächst von Luce Irigaray ausformuliert und steht heute in etwas veränderter Form im Zentrum einer marxistisch orientierten Lacan-Rezeption. Die sexuelle Differenz verweist dabei auf eine ontologische Leerstelle oder Negativität, die auf uns zu nehmen das bisher uneingelöste Potential der Aufklärung darstellt. Sexuelle Differenz kann daher nicht mit einer binären Geschlechterordnung gleichgesetzt werden. Das Paradigma gewinnt vielmehr Sinn vor dem Hintergrund der ihm inhärenten Diagnose, dass der Kapitalismus die sexuelle Differenz, insofern sie für diese Negativität steht, loswerden will. Der Kapitalismus beerbt in der ihm eigenen Überformung die abendländische patriarchale Tradition, insofern er seine Verführungskraft gerade daraus bezieht, dass er vorgibt, diese Negativität aufheben zu können.

Vor dem Hintergrund dieser Diagnose einer verworfenen Negativität stellt sich die Frage, ob der Frauenbewegung zu Recht die Bildung eines weiblichen Kollektivs verwehrt blieb und ob dieses Begehren nicht vielmehr dahingehend zu interpretieren wäre, dass sich darin der Wunsch nach der Artikulation dieser Negativität manifestiert.

Der Vortrag fokussiert dabei auf die schwierige Position, die der Mutter phantasmatisch in dieser verworfenen Negativität zukommt. Die symbolische Nicht-Existenz dessen, was sie gibt, und damit das Phantasma einer beliebigen Verfügbarkeit über ihren „Körper“ präfiguriert als das zentrale unreflektierte Moment weiterhin die Positionierung von Frauen in unserer Kultur.


Über die Vortragende:

Tove Soiland, studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik in Zürich. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Innsbruck und hat an zahlreichen Universitäten Lehraufträge inne. In Zürich bietet sie seit Jahren Seminare für Frauen zu feministischer Theorie an. Ihre heutigen Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereich Feministische Theorie, Lacansche Psychoanalyse und Marxismus, und Theorien des Totalitarismus.

2008 promovierte sie an der Universität Zürich zu Luce Irigarays Denken der sexuellen Differenz. Eine dritte Postion im Streit zwischen Lacan und den Historisten (Turia + Kant 2010). 2003 initiierte sie den »Gender-Streit«, eine Kontroverse um die theoretischen Grundlagen des Gender-Begriffs. 2009 schrieb sie für das Stadttheater Bern die szenische Lesung »Nehmen Sie Ihr Gender selbst in die Hand, Madam!«. Im WS 2016/17 hatte sie die Klara-Marie-Faßbinder Gastprofessur an der Hochschule Ludwigshafen inne. 2016 erhielt sie für ihr feministisches Engagement den Ida Somazzi-Preis.

Sie ist Mitherausgeberin (zusammen mit Marie Frühauf und Anna Hartmann) der beiden Bände: Postödipale Gesellschaft  und Sexuelle Differenz in der postödipalen Gesellschaft (Turia + Kant 2022). Ihr jüngstes Buch ist Sexuelle Differenz, hrsg. von Anna Hartman (Unrast 2022).