Wir, das Feministische Bündnis Heidelberg, sind Freund:innen von innerfeministischen Auseinandersetzungen und halten das feministische Streiten für unerlässlich um den Feminismus als sozialen Kampf (im Patriarchat) weiterzuentwickeln. Bedingung für einen solchen fruchtbaren Streit ist jedoch eine klar dargelegte und schlüssig begründete Kritik.
Seit wir zum Thema der Prostitution arbeiten, haben uns immer wieder unterschiedliche kritische Stimmen erreicht. Viele davon konnten wir als produktive Kritik annehmen, reflektieren und in unsere weitere Arbeit einbeziehen – und bedanken uns hierfür bei allen, die sich mit uns in einen kritischen Dialog gewagt haben. Jedoch erreichen uns auch immer wieder Vorwürfe, die für uns unbegründet und unschlüssig sind. Einer dieser Vorwürfe ist der der Transphobie, welcher häufig nur in Form von Beleidigungen geäußert wird. Uns leuchtet nicht ein, wie genau diese Einordnung zu Stande kommt. Das bloße Nicht-Arbeiten zu Transpersonen in der Prostitution sehen wir nicht als transphob. Sollte eure Kritik hierdurch begründet sein, bitten wir euch diese Kritik ausführlich darzulegen.
Seitdem wir uns als Bündnis gegründet haben, setzen wir uns für das Nordische Modell und für Frauen, Transpersonen und Männer in der Prostitution ein. Für diesen doch stark realpolitisch geprägten Kampf sind wir mit Gruppen vernetzt, welche die gleichen Kämpfe führen und deren grundsätzliche politische Haltung wir mittragen können. Das heißt selbstverständlich nicht, dass wir mit allen Aussagen, allen Texten und allen inhaltlichen Veranstaltungen der Gruppen zu 100% einverstanden sind. Wir freuen uns ebenso Transaktivist:innen als Abolitionist:innen im Kampf um das Nordische Modell in unserer Reihe zu begrüßen.
Einem fruchtbaren feministischem Streit legen wir als Basis eine differenzierte Auseinandersetzung in Wahrung bestimmter Grenzen und ohne Beleidigungen oder Diffamierungen zu Grunde. Nur so kann eine solidarische und respektvolle Praxis stattfinden, welche ein produktives „in Dialog treten“ ermöglicht – und das Verharren auf dem bequem eingerichteten Platz der Diffamierung des Gegenübers ablöst. Ein guter Austausch kann nur gelingen, wenn keine:r Angst haben muss sich zu äußern und für die eigene Position einzustehen. Als Beispiel einer differenzierten Auseinandersetzung: Wir finden Hannah Arendts frühe Schriften zur Shoa lesenswert, obwohl sie sich an anderer Stelle rassistisch geäußert hat. In unserer politischen Praxis wäre es nun falsch Hannah Arendt überhaupt nicht mehr zu lesen, was selbstverständlich niemanden davon abhalten sollte ihren Rassismus zu kritisieren.
Speziell in unserem Sammelband haben wir uns entschieden, für die sprachliche Nennung der Personen in der Prostitution kein Sternchen zu verwenden und auch nicht zu gendern. Dies hat nichts mit einer feindlichen Gesinnung gegen Transpersonen oder Männern in der Prostitution oder gegen Transaktivismus im Allgemeinen zu tun. Vielmehr war es uns wichtig, ohne sprachliche Glättungen, das eklatante gesellschaftliche Missverhältnis aufzuzeigen, dass sich in der großen Mehrheit Frauen prostituieren und Männer diese sexuellen Dienstleistungen konsumieren. Dieses Missverhältnis – strukturiert durch die patriarchale Gesellschaft und die real existierende verhärtete Binarität mit der ihr inhärenten Ungleichheit – muss als solches benannt werden. Es ging uns nie darum zu suggerieren Transpersonen oder Männer würden sich nicht prostituieren.
Wir gehen davon aus, dass alle, die sich prostituieren (müssen), von einem erfolgreichen Kampf für das Nordische Modell profitieren würden/ werden. Selbstredend sind wir immer auf der Seite der Betroffenen, wenn wir uns für das Nordische Modell einsetzen, ganz egal ob das im Einzelfall dann eine Frau oder eine Transperson ist. Hierbei sind wir immer wieder überrascht gewesen, dass uns eine Kritik an der Sexarbeit als Kritik oder Hass auf Sexarbeiter:innen ausgelegt wird. An dieser Stelle wollen wir kurz daran erinnern, dass eine marxistische Kritik der Arbeit auch keinen Hass auf die Arbeiter:innen darstellt.
Mit unserer Kritik der Prostitution stehen wir in der Tradition einiger bekannter Radikalfeministinnen, der sogenannten alten Schule des Feminismus, deren Meinungen wir teilweise sehr schätzen. Jedoch schätzen wir ebenfalls neuere und wichtige Stimmen des 3. Welle Feminismus. Sowohl in unserer Utopie als auch in unserer feministischen Analyse ist das übergeordnete Ziel des Feminismus die Beseitigung aller geschlechterspezifischen und aus sexueller Orientierung abgeleiteten Unterdrückungsmechanismen in allen Gesellschaften. Es kann nicht angehen eine Form der Unterdrückung gegen eine andere auszuspielen. Um diese Utopie zu erreichen ist viel politischer Mut, feministische (Selbst-) Kritik und eine feministische, materielle Gesellschaftsanalyse dringend notwendig.
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