Rede zum Frauenkampftag 2020
In unserer Rede vom Feministischen Bündnis Heidelberg geht es um Hörbarkeit. Wir müssen heute gemeinsam über etwas reden, bei dem die Leute normalerweise entsetzt abwinken. Es betrifft Geschichten, die flauschig beginnen, z.B. so: Peter lernt Bea auf der Weihnachtsfeierei in der Kantine kennen. Weils so prickelt und auch weils so normal ist sind die beiden ganz bald ein händchenhaltendes Paar, das mit anderen Paaren gemeinsam zu Mario Barth lacht und zum Fußball jubelt. Der Alltag ist dröge, die Kinder so anstrengend: Der Frust wächst. Und die Bea putzt nicht wie Peter es will, schweigt nicht, wenn Peter will, vögelt nicht wie Peter will. Das alles macht ihn ärgerlich. Als er noch vom Boss gezeigt bekommt wie jämmerlich er unterlegen ist platzt ihm der Kragen. Regelmäßig rutscht Peter deshalb die Hand aus. Die sich steigernde Gewalt fing mit Beleidigungen und verbaler Erniedrigung an – und gipfelte in Würgen, Schlagen, treten und Vergewaltigung. Peter denkt er hat das Recht in seinem Hause zu walten wie er will, schließlich ist er der Familienvorstand. Als sie sich schließlich trennen will, beschließt er sich und sein Eigentum zu töten.
Diese Geschichte widerholt sich. Immer und immer wieder erzählen Frauen Teile dieser Geschichte – die darauffolgende Täter-Opfer Umkehr und die Ignoranz bringen sie dazu sich dafür zu schämen. Wer sich schämt, hört auf zu reden. Peter findet das gut! Er kann nämlich weiter Gewalt ausüben, weil die Frauen sich schämen, weil sie zum Schweigen gebracht werden – Diejenigen, die sich weigern zuzuhören und dagegen vorzugehen machen sich schuldig, weil sie Peter möglich machen.
Letztens hat mir eine Mitfrau von einem durchaus programmatischen Beispiel aus dem patriarchalen Haufen Justiz erzählt. Ein Mädchen sagt aus, es würde vom Vater missbraucht. Der Richter stürmt auf es zu, baut sich auf, beugt sich über es, hebt väterlich-strafend den Zeigefinger und befielt dem Kind die Wahrheit zu sagen, denn es wisse schließlich, dass so eine „Unterstellung“ das Leben des Angeklagten zerstören könne. Das Mädchen, dessen Leben zerstört wurde, schweigt daraufhin. Speechless terror wird es genannt, wenn Personen aufhören zu sprechen, weil sie etwas Lebensbedrohliches erlebt haben. Es bezeichnet die Blockade des Sprachzentrums, wenn die Bilder des Übergriffs als Flashbacks zurückkehren, Trigger um Trigger. Diese Gesellschaft produziert speechless terror, und das systematisch. Peter bedankt sich für die tatkräftige Unterstützung.
Terror, der zur Sprachlosigkeit führt, herrscht im öffentlichen Diskurs, in der Art wie Männer mit und vor allem über Frauen sprechen. Diese Männer, die sich genüsslich seitenweise darin ergehen wie genau sie gerne Frau Thunberg, Frau Rackete oder Frau Neubauer vergewaltigen würden haben im Grunde wahnsinnig große Angst um ihren Status. Ihre von Sexismus deformierten Hirne senden immer wieder quälende Angstsignale, wenn sie mutige, schlaue, unabhängige Frauen in der Öffentlichkeit Sehen und Hören. Dass Frauen wie Thunberg, Neubauer und Rackete mit den vergangenen Frauenbewegungen gelernt haben sich vom Mann zu distanzieren macht ihn rasend. Sie und viele andere Frauen lassen sich nämlich nicht mehr den Mund verbieten. Und dann sind sie auch noch so ungefällig wie nur geht: Sie lächeln nicht als gäbe es was zum Lachen, sie kleiden sich nicht sexy als wären sie vor allem ein zu betrachtendes Objekt das nur die männliche Großartigkeit spiegelt.
Jede vierte Frau hat männliche Gewalt erlebt, jeden dritten Tag wird eine Frau vom Mann oder Vater an ihrer Seite getötet. Wenn Frauen von Taten berichten herrscht Verrat durch Ignoranz – uns Frauen bleibt daher nichts übrig als uns zusammenzuschließen und nach den Wurzeln dieses Grauens zu suchen. Uns geht’s dabei nicht ums Rumjammern – sondern ums Zurückschlagen.
Dass Männer zu Tätern werden und Frauen zu sprachlosen Unterlegenen liegt in der Sozialisation – und das ist eine gute Nachricht. Man wird nicht als Vergewaltiger geboren – man wird dazu gemacht. Geschlechtsspezifische Sozialisation sorgt dafür, dass Mädchen nicht lernen Grenzen zu ziehen und eigene Bedürfnisse auszusprechen und durchzusetzen: Sie lernen angepasst und fügsam zu sein, die Schuld auf ihrer Seite zu suchen. Jungs hingegen lernen in der Konkurrenz zu anderen Jungs Dominanz und Durchsetzungsfähigkeit: Sie lernen über die Grenzen von Mädchen zu gehen und sie als „ihre“ Freundin später zu dominieren. Der patriarchale Kopf denkt er besäße Rechte an Frau und Kind – auch das Recht sie zu bestrafen. Weibliche Aggression richtet sich gegen sich selbst, z.B. in Hunger, Rückzug und der Wahl eines gewaltvollen Partners. Männliche Aggression richtet sich nach außen – oft gegen die Frau, die am nächsten steht. Da diese Art von Gewalt das Geschlecht betrifft – äußert sie sich oft in sexualisierten Übergriffen als Unterwerfung. Unter dem Vergrößerungsglas ist das sichtbar in der Prostitution: Männliche Gewalt ist hier abgesichert durch den im Kapitalismus als legitim anerkannten Bezahlvorgang. Die softe Vergewaltigung ist als Porno allgegenwärtig und verknüpft in unserem Gefühlsleben Lust mit Gewalt gegen Frauen. Kapitalismus als Männerherrschaft lässt uns das alles gleichmütig hinnehmen, weil es uns als natürlich vorkommt.
In den 70ern galt es noch als selbstverständlich Privates politisch zu nennen. Heute passiert dasselbe, wie damals vor dem feministischen Kampf um Sichtbar- und Hörbarkeit. Strukturen werden geleugnet, Systematisches wird als tragischer Einzelfall abgetan. Keinerlei Interesse sich mit patriarchalen Strukturen auseinander zu setzen! Wir sollten trauern um die Frauen, die vor den Toren des Frauenhauses abgewiesen wurden, weil sie zu schützen dem Staat schlicht zu teuer ist. Sie hätten vor dem Ehemann, der sie tötete, geschützt werden können – nun sind sie erschlagen, erstochen, erwürgt Teil eines riesigen Grabes auf dem geschrieben steht: „Wenn wir nicht hinschauen, ist es nicht wahr – und außerdem sind Männer schon längst die unterdrückte Gruppe“.
Aber: Solange Vergewaltigung noch nicht schamfrei laut und deutlich ausgesprochen werden kann – solange Personen schon beim Klang zusammenzucken stehen wir Frauen hier und schreien es ihnen entgegen. Denn wer nichts von Vergewaltigungen hören will – der stellt sich auf die Seite des Vergewaltigers, er ist die Vergewaltigung durch Unterlassen.
Wir Frauen fordern daher die Erhebung von Daten, die das volle Ausmaß der Gewalt sichtbar machen. Wir fordern die Einhaltung der Istanbul Konvention, nach der jede Frau ein Recht auf Schutz im Frauenhaus hat. Wenn das Morden ein Ende haben soll, müssen unbedingt Mittel in Frauen- und Männerarbeit gesteckt werden. Kein Mann muss Vergewaltiger sein – aber die gesellschaftliche Verdrängung des Themas schafft vergewaltigende Männer. Deshalb fordern wir, dass sich an Schulen und Universitäten in Lehre und Forschung mit Männlichkeit und Weiblichkeit und der damit verbundenen Herrschaft auseinandergesetzt wird. Und wir fordern das nordische Modell als Sexkaufverbot um den Freier als Täter zu verhindern und die Gewalt, die dort passiert, zu vermindern.
Wir als Feministisches Bündnis Heidelberg möchten ein Fazit ziehen: Vielleicht wird es die Peters noch lange geben, aber wenn wir das Geschlechterverhältnis erklären, die Familie überdenken und Alternativen zum männerdominierten Kapitalismus finden dann werden es viel weniger Peters sein und eine freie und solidarische Welt ist möglich.